Interview Matthias Betsche zur Situation der Natur im Aargau
Haben es Umweltthemen schwer im Parlament?
Ja. Natur - und Umweltanliegen finden zu wenig Gehör. Seit Jahrzehnten wird von der Klimaerwärmung und vom Raubbau an der Natur gesprochen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind allgegenwärtig. Viele Pflanzen- und Tierarten sind heute vom Aussterben bedroht. Wir brauchen konstruktive Lösungen, um diese Herausforderungen anzupacken. Hier will ich mich einbringen und mitanpacken. . Die Stimme der Natur muss in der Politik gestärkt werden.
Wie geht es unserer Natur im Kanton Aargau?
Mit Pro Natura Aargau setzen wir sehr viele Naturschutzprojekte, mit tollen Ergebnissen und Erfolgen für die Natur, um. Viele schöne Beispiele zeigen, dass sich unser Einsatz lohnt. So geht es beispielsweise dem Laubfrosch und dem Biber im Aargau wieder besser.
Der Druck auf die Natur ist aber insgesamt gestiegen. Die Zersiedelung im Aargau schreitet voran, Landschaften werden überbaut und verbleibende Flächen intensiv genutzt. Folglich nimmt die Artenvielfalt als Ganzes ab.
Kannst Du ein paar Beispiele aufzählen?
Vor Kurzem lag ein Bericht über den Zustand unserer Vogelwelt im Kanton Aargau auf meinem Tisch. Die Zahlen, die ich da lese, lassen aufhorchen. Der Bestand des Baumpiepers ist seit den 1990er-Jahren von über 500 bis auf wenige Brutpaare zusammengebrochen. Beim Gartenrotschwanz liegt der aktuelle Bestand im Aargau bei noch etwa zehn Brutpaaren, verglichen mit gut 700 Brutpaaren vor rund 35 Jahren. Die Dorngrasmücke liebt offene Gebiete in den Flusstälern des Wasserkantons Aargau. Ihr Bestand ist von 69 Brutpaaren in 1987 auf heute etwa 20 Brutpaare geschrumpft.
Stichwort Wasserkanton Aargau. Dieses Jahr ist der Sumpfrohrsänger der Vogel des Jahres – eine für den Wasserkanton typische, heimische Vogelart, und ein begnadeter Sänger. Sieht es bei den Feuchtgebieten anders aus?
Nein, in den heutigen Feuchtgebieten sind nur noch jene Arten anzutreffen, die geringere Ansprüche an den Lebensraum stellen, zum Beispiel Zwergtaucher, Teichrohrsänger, Sumpfrohrsänger, Rohrammer. Aber auch die meisten Bestände dieser Arten weisen über die letzten 30 Jahre einen negativen Trend auf. Wenn das so weitergeht, werden die schönen Gesänge des Sumpfrohrsängers zunehmend leiser.
Analog zum Lebensraumschwund der Feuchtgebieten brachen die Bestände der typischen Feuchtgebietsarten ein. Purpurreiher, Rohrweihe, Wachtelkönig, Kleinrallen sowie Wiesenlimikolen brüten zwar immer noch sporadisch in den verbliebenen Feuchtgebieten, aber – mit Ausnahme des Kiebitzes – nirgends mehr regelmässig. Auch Flussuferläufer und Flussseeschwalbe kommen im Kanton Aargau nicht mehr vor. Es braucht dringend eine Trendwende.
Ist diese Entwicklung auch bei anderen Tierarten des Kantons Aargau feststellbar?
Bei Säugetieren, Reptilien, Amphibien und Insekten sieht es nicht besser aus. Sogar unser einheimischer Igel wird im Mittelland seltener und gilt neuerdings als "potenziell gefährdet". Das sind alarmierende Zeichen für den Zustand der Artenvielfalt im Aargau.
Wo liegt der grösste Handlungsbedarf?
«Mehr Natur überall» ist die Devise von Pro Natura, für die ich mich mit vollem Engagement und Herzblut einsetze. Im dicht besiedelten Aargau, wo jeder Quadratmeter begehrt ist, braucht die Natur langfristig mehr Platz, mehr Lebensraum. Wir müssen die Bevölkerung dafür sensibilisieren. Dass wir etwas für die Natur tun können, und dass dies auch nützt, konnte Pro Natura Aargau beispielsweise mit dem Schaffen von neuen Auen- und Riedgebieten zeigen. In unseren Auen Chly Rhy in Rietheim, Machme in Klingnau, Foort bei Eggenwil, Sins in Reussegg oder den Riedflächen in Bösimoos lebt die Natur wieder auf. Diese Gebiete sind wunderbare Paradiese – auch für uns Menschen. Sie zeigen auch, dass Natur und Landwirtschaft kein Widerspruch sind. Diese Gebiete werden von Landwirten angepasst bewirtschaftet. Mozzarella von Wasserbüffeln aus den Naturschutzgebieten schmeckt einfach gut und ist gut für die Natur!
Braucht es also mehr Naturschutzgebiete?
Ja, die Natur braucht mehr Schutzgebiete. Aber nicht nur! Wir können die Natur nicht retten, indem wir allein Naturschutzgebietsinseln errichten und die Natur darin isolieren. Der gesamte Raum, in dem wir alle leben, muss miteinbezogen werden. Für die Zukunft des Naturschutzes bedeutet das, dass die Artenvielfalt nur gesichert werden kann, wenn wir Partnerschaften stärken. Es braucht die Zusammenarbeit mit Landwirtschaft, Waldeigentümer*innen, Fischer*innen, Kies- und Betonfirmen, Wirtschaft, Jäger*innen, Konsument*innen. Und es braucht auch den Blick über alle Parteigrenzen hinweg. Deshalb ist mir wichtig, Brücken zu bauen und die Zusammenarbeit mit allen Akteuren für den Naturschutz zu stärken.
Was bringt uns «mehr Natur»?
Die Natur ist unsere Lebensgrundlage, das wichtigste Betriebsmittel unserer Wirtschaft und der Erholungsraum für uns Menschen. Ihr verdanken wir unsere Nahrung, sauberes Wasser und Luft, Kleidung, Energie, Baustoffe, Medikamente, attraktive Landschaften und vieles mehr. Eine intakte Biodiversität ist von grösstem Wert für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Naturschutz ist auch eine grosse Chance. Es ist mir wichtig, dass wir künftigen Generationen eine lebenswerte Welt übergeben. Ich möchte mit meinem Engagement dazu beitragen, dass die Menschen ein gutes Leben in einer gesunden Umwelt führen können.
Was wünscht Du Dir für die Zukunft des Aargaus?
Ich möchte die Artenvielfalt erhalten, damit auch unsere Urenkel sich noch an Schmetterlingen, Igeln und Feldhasen erfreuen können. Ich wünsche mir naturnahe Wälder, sprudelnde Bäche, bunte Wiesen und Felder anstelle zersiedelter Landschaften. Der Aargau hat so viel zu bieten! Das stille Mettauertal, die wunderschöne Schoggitaler-Landschaft des Schenkenbergtals, die freien Ufer des Hallwilersees, das Toskanische am Nättenberg im Jurapark, die Amazonas-Auenlandschaften beim Rhein. Der Kanton ist enorm vielfältig und schön. Ich hoffe, dass es uns gelingt, all das für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. Denn es ist unglaublich viel wert. Dafür setze ich mich ein.
Boxe:
Matthias Betsche ist Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. Als GLP-Grossrat gibt er Natur und Umwelt auch in der Politik eine Stimme. Er ist zudem Stiftungsrat der Stiftung Reusstal und Mitglied der kantonalen Wasserschloss-Kommission. Von Beruf ist er Anwalt und wohnt mit seiner Familie in Möriken. In seiner Freizeit ist er gerne in der Natur unterwegs, beim Wandern, Velofahren – oder mit der Kamera beim Fotografieren von Tieren, Pflanzen und Landschaften.